Anordnung eines paritätischen Wechselmodells durch das Gericht
Ein Wechselmodell kann gegen den Willen eines Elternteils auch bei einer erheblichen Störung der elterlichen Kommunikation gerichtlich angeordnet werden, wenn das Wechselmodell bereits seit geraumer Zeit tatsächlich gelebt wird und es dem beachtlichen Willen des Kindes entspricht.
Ich möchte unsere Mitglieder auf eine interessante Entscheidung des OLG Dresden vom 14.04.2022 hinweisen. Im Rahmen der vorgenannten Entscheidung hat das Oberlandesgericht Dresden einen vorangegangenen Beschluss des Familiengerichts bestätigt, wonach auf Antrag des Kindesvaters ein paritätisches Wechselmodell mit seinem 12 jährigen Sohn angeordnet wurde in Erweiterung vormals bestehender zeitlich kürzerer Umgangskontakte.
Im Rahmen des vorgenannten Verfahren hatten sich die Kindeseltern zunächst im Rahmen einer Zwischenvereinbarung auf eine außergerichtliche Mediation verständigt, welche jedoch im weiteren Verlauf auf Wunsch der Kindesmutter vorzeitig beendet worden war.
Obwohl der Senat konstatierte, dass eine vernünftige, am Kindeswohl orientierte Kooperation und Kommunikation zwischen den Eltern kaum möglich war und es an gegenseitigem Respekt und Vertrauen fehlte, was sich letztendlich auch in der gescheiterten Mediation wiederspiegelte, kommt das Oberlandesgericht Dresden zu dem zutreffenden Ergebnis, dass auch bei hoch konfliktbehafteten Eltern das Wechselmodell dem Kindeswohl entsprechen kann, insbesondere dann, wenn zu erwarten ist, dass das Wechselmodell die Belastung des Kindes durch den Elternkonflikt nicht verstärkt, sondern eher vermindert. Es gilt nach Auffassung des Gerichts hier das Prinzip der „Schadensminimierung“, mithin das für das Kind am wenigsten schädliche und damit beste Betreuungsmodell.
Aus Sicht des Senats war entscheidend, dass sich der gemeinsame Sohn der Eltern im Verlaufe des Verfahrens mehrfach klar und äußert eindeutig für ein paritätisches Wechselmodell ausgesprochen hat. So hat das Oberlandesgericht weiter festgestellt, dass der Wunsch des gemeinsamen Kindes nach einer paritätischen Betreuung im Verhältnis 7 zu 7 einem eigenen tiefgreifenden Gerechtigkeitssinn des Kindes entspricht. So hatte der Sohn im Laufe des Verfahrens gegenüber dem Senat wiederholt erklärt, dass er gleichviel Zeit bei seiner Mama und seinem Papa verbringen wolle und ihm die paritätische Regelung am besten gefalle. Dies sei sowohl für ihn, als auch für seine Eltern „gut“. So hat der gemeinsame Sohn auch gegenüber dem Senat bekräftigt, dass die Betreuung durch seine Eltern im wöchentlichen Wechsel „gerecht“ sei. Er hat hinzugefügt, dass es seinem Papa, aber auch ihm selbst mit dieser Regelung „besser gehe“.So hat das Oberlandesgericht Dresden weiter konstatiert, dass das in der Kindesanhörung deutlich zum Ausdruck kommende hohe Gerechtigkeitsempfinden des Kindes zu respektieren sei. Eine Nichtbeachtung des Willens eines fast 12 Jahre alten Kindes bürge die Gefahr einer Schwächung der kindlichen Selbstwirksamkeitserwartung mit voraussichtlichen negativen Folgen für seine psychische Entwicklung. Insoweit komme dem Willen des Kindes mit zunehmendem Alter und Einsichtsfähigkeit vermehrt Bedeutung zu. Zur schutzwürdigen Persönlichkeitsentwicklung des Kindes gehöre auch dessen auf einem tief empfundenen Gerechtigkeitsgefühl beruhender Wunsch nach Gleichbehandlung beider Eltern.Im Ergebnis folgt das Gericht hier dem starken Fairnessbedürfnis des Kindes. Das Gericht weist insoweit dem gemeinsamen Kind der Eltern eine starke und ganz entscheidungserhebliche Rolle zu.
Im vorliegenden Fall wäre es wünschenswert gewesen, dies auch im Hinblick auf die gescheiterte Mediation der Eltern, wenn der gemeinsame Sohn mit in den Mediationsprozess eingebunden worden wäre. Im Vorfeld der gemeinsamen Sitzung hätte mit den Eltern geklärt werden können, dem Kind eine eigene Stimme zu geben, wenn es um seine eigenen Belange geht. Hierbei muss den Eltern klar werden, auch den Kindern Anerkennung und Wertschätzung zu geben (vergleiche insoweit auch der Aufsatz des Unterzeichners im Newsletter 12/2019; zu finden auch unter der Rubrik „NEWS“ auf der Homepage unserer Arbeitsgemeinschaft www.mediation.anwaltverein.de).
Stephan Schmidt-Jochum
Rechtsanwalt und zertifizierter Mediatior
Mitglied im geschäftsführenden Ausschuss der Arbeitsgemeinschaft Mediation in DAV