"Tit for Tat" und die Einwirkungsmöglichkeiten auf den Verhandlungsprozess


Die Antwort auf die Frage, wie das Setting von kooperativen Konfliktlösungsansätzen u.a. der Mediation so beeinflusst und gestaltet werden, dass eine Zusammenarbeit der Parteien gewährleistet wird, ist eine der grundsätzlichen und schwierigsten Herausforderungen für alle Mediatoren, Streitschlichter und Vermittler, wenn sie gemeinsam mit den Parteien auch in schwierigen Fällen zu einem erfolgreichen Abschluss des jeweiligen Verfahrens gelangen wollen.

Oder mit anderen Worten, wie kann ich einen (Verhandlungs)Rahmen und Bedingungen schaffen, in denen auch stark belastete und verstrittene Parteien in eskalierten Konflikten im Rahmen eines Vermittlungsprozesses kooperieren (können)?

Mit dieser Fragestellung beschäftigte sich auch der amerikanische Politikwissenschaftler Robert Axelrod auf der Grundlage seiner spieltheoretischen Untersuchungen zur Situation des Gefangenendilemmas (Robert Axelrod, Die Evolution der Kooperation, München 1998; die Kenntnis der Begriffe des „Gefangenendilemmas“ und des „iterierten Gefangenendilemmas“ sowie Nullsummenspiel und Nicht-Nullsummenspiel werden hier vorausgesetzt).

Um die beste Strategie zur Förderung von Kooperation durch eine Beeinflussung der Rahmenbedingungen von Verhandlungen ausfindig zu machen, veranstaltete Axelrod einen Computerprogrammwettbewerb mit Spieltheorie-Experten als Teilnehmern.

Aufgabenstellung war die Entwicklung eines Programms mit der optimalen Strategie für die Entscheidung zugunsten oder gegen eine Kooperation mit der anderen Konfliktpartei. Diese sollte in solchen Spiel- oder Verhandlungssituationen anwendbar sein, in denen einerseits der eigene Erfolg sowohl vom eigenen Verhalten als auch dem des Gegenübers abhängt und andererseits ein persönlicher Gewinn nicht genau dem Verlust der anderen entspricht (Nicht-Nullsummenspiel).

Das Turnier gewann das Programm "Tit for Tat" (deutsch: "Wie du mir, so ich Dir").

Dieses war so konzipiert worden, dass es anfangs grundsätzlich immer kooperiert und dann genau die Wahl des Gegners – Kooperation oder Nicht-Kooperation - wiederholt. "Tit for Tat" erzielte die besten Ergebnisse im Zusammenspiel mit anderen grundsätzlich kooperationsbereiten (Programm)Partnern. Es erreichte selbst aber nie ein besseres Ergebnis als seine Mitspieler. Im Gegensatz zu anderen, zu "freundlichen" Ansätzen, die sich auch nach einem nicht-kooperativen Verhalten immer noch freundlich verhielten, reagierte "Tit for Tat" aber auf jede Nicht-Kooperation sofort und versagte im nächsten Schritt selbst die Kooperation. Kooperierte die andere Seite in der nächsten Interaktion, verzieh "Tit for Tat" und agierte ebenfalls wieder kooperativ. Entscheidend ist in diesem Zusammenhang, dass die Art und Weise, wie ein Spieler auf die Züge seines Mitspielers reagiert, für letzteren transparent sein muss.

Axelrod formulierte auf Basis dieser Ergebnisse Regeln, wie man dieses Spiel von Entscheidung zwischen Kooperation und Nicht-Kooperation ohne Wissen über das Verhalten des Mitspielers gut spielt. Hierbei gibt er nicht nur Verhaltensanweisungen für die Spieler, sondern leitete aus seinen Forschungsergebnissen auch konkrete Handlungsansätze ab, wie aktiv Rahmenbedingungen für einen erfolgreichen Spielverlauf geschaffen werden können und stellte einige grundsätzliche Regeln für das Verhalten in einer konkreten Spielsituation auf. Neben der Regel "Verweigere die Kooperation nicht als erster", die dem Gegenüber eine grundsätzliche Bereitschaft zur Zusammenarbeit anzeigt, und der Anweisung, sowohl Kooperation als auch ihre Verweigerung zu erwidern (Erwiderung / Provozierbarkeit), kommt folgenden Handlungsanweisungen insbesondere für mediative Verhandlungssituationen besondere Bedeutung zu:

Vermeidung von Neid

Axelrods Untersuchungen zeigen – gute Ergebnisse werden nur in Kooperation mit dem Mitspieler erreicht und wenn beide Seiten gleichermaßen profitieren -, dass persönlicher Erfolg in solchen Verhandlungssituationen immer relativ ist. Ein "gutes" Ergebnis ist immer nur ein "relativ gutes" im Vergleich mit Verhandlungsergebnissen anderer Konfliktparteien und niemals zum direkten Gegenüber. Nur bei einem solchen Vergleich wird Erfolg messbar; nicht aber durch eine Vergrößerung des Abstandes zum direkten Spielpartner.

Die erste Regel "Sei nicht neidisch" steht aber oftmals im Widerspruch zu unserem "normalen" Denken und häufig praktizierten Konfliktverhalten, die sich zu häufig an Alles-oder-Nichts-Strategien und überwiegend in Kategorien von "Gewinnen" oder "Verlieren" orientieren.

Transparenz oder "Sei nicht zu raffiniert"

Mit dieser Spielanweisung fordert Axelrod die Erkennbarkeit und die Verständlichkeit der eigenen Strategie, vor allem hinsichtlich der Provozierbarkeit für die andere Seite. Da sich das Verhalten der Mitspieler zueinander gegenseitig bedingt, ist es von großem Vorteil, wenn sich die Mitspieler gegenseitig richtig einschätzen können.

Im Unterschied zu Alles-oder-Nichts-Szenarien, in denen die Strategie des Gegners immer auf die Vernichtung des Gegenübers ausgerichtet und somit berechenbar ist, bestehen im Falle des Vorhandenseins teilweise gleichlaufender Interessen, mehrere Möglichkeiten. Ist das eigene Verhalten für den Mitspieler nicht nachvollziehbar, kann dies leicht zu Missverständnissen und zu einer dauerhaften Verweigerung einer Kooperation führen.

In der Transparenz der eigenen Strategie für den Mitspieler besteht einer der größten Unterschiede zwischen Nicht-Nullsummenspielen und Nullsummenspielen wie z.B. dem Schachspiel. Während es bei Letzteren hilfreich ist, dem Mitspieler die eigene Strategie zu verbergen, ihn in die Irre zu führen und durch einen überraschenden Zug "matt zu setzen", verhält es sich beim "iterierten Gefangenendilemma" umgekehrt. Ist das eigene Verhaltensmuster für die Gegenseite leicht zu durchschauen und der nächste Zug vorhersehbar, dann besteht die Möglichkeit zur Anpassung der eigenen Spielweise.

Da eine Kooperation in dieser Situation immer auch einen Vorteil für die Gegenseite bedeutet, ist Transparenz ein Mittel, den Mitspieler zur Zusammenarbeit anzustiften.

Förderung von Kooperation

Die zuvor beschriebenen Anweisungen können nicht nur als Handlungsanweisung für das eigene Verhalten in einer konkreten Spiel- oder Verhandlungssituation dienen, sondern geben auch Ansatzpunkte, wie Kooperation aktiv evoziert und gefördert werden kann: In welcher Weise können nicht nur die Verhandlungsparteien selbst, sondern auch Dritte wie eine Mediatorin oder Mediator die Rahmenbedingungen verändern, damit Kooperation möglich wird und welche konkreten Maßnahmen sind diesem Ziel förderlich sind?

Erweiterung des Schattens der Zukunft

Schon die Betrachtung des Grundbeispiels des Gefangenendilemmas macht das Kernproblem deutlich: Warum sollte jeder der beiden Gefangenen sich durch die Verweigerung der Aussage kooperativ verhalten und damit riskieren, dass der jeweils andere die Kooperation verweigert und sich durch ein Geständnis Straffreiheit verschafft, während er selbst die volle Strafe bekäme, wenn es keine Möglichkeit zur Vergeltung gibt?

Etwas anderes ergäbe sich, wenn jeder Gefangene wüsste, dass ihm eine Verweigerung "heimgezahlt" werden könnte. Dies kann nur geschehen, wenn er sich die Frage, ob er kooperieren oder sich egoistisch verhalten sollte, erneut stellen würde, so z.B. wenn es weitere Verhöre gäbe.

Daraus folgt, dass die Herbeiführung der Wiederholung des Spiels notwendig ist. Nur wenn beide Spieler davon ausgehen müssen, in Kenntnis des Ausgangs der letzten Runde erneut aufeinander zu treffen, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dem Anreiz auf Kosten des anderen ein gutes Ergebnis zu erzielen, zu widerstehen. Je häufiger die Spieler aufeinander treffen, desto mehr wird sich ihre Kooperation verfestigen.

Der gleiche Effekt lässt sich durch eine Verlängerung der Dauer einer Interaktion oder durch eine Erhöhung der Anzahl der Zusammentreffen erzielen, um durch die Eröffnung der Vergeltungsmöglichkeit der Mitspieler, eine Verweigerung der Kooperation des jeweils anderen zu verhindern. Hierdurch wird der Blickwinkel erweitert: Die grundsätzliche Einmaligkeit eines einzelnen Spielzuges wird durch das Wissen um den bisherigen Spielverlauf und durch Erwartung neuer Interaktionen in der Zukunft relativiert. Nach Axelrod ist deshalb darauf hinzuwirken, dass einer aktuellen Entscheidung des Spielers eine möglichst große Bedeutung im Hinblick auf zukünftig zu treffende Entscheidungen zukommt.

Im Rahmen der Mediation kann dies regelmäßig durch die Aufteilung des Gesamtkonflikts in seine Bestandteile und Einzelthemen sowie deren gesonderte Bearbeitung geschehen.

Unterrichtung und Erziehung der Spieler

Neben diesen Veränderungen der Rahmenbedingungen kann auch ein direktes Einwirken auf die Spieler durch Belehrung über Werte, Fakten und Fertigkeiten erheblich zum Entstehen von Kooperation beitragen. Erzieherische Maßnahmen, die darauf abzielen, das Wohlergehen der Mitmenschen zu sensibilisieren und ihnen im Bedarfsfall zu helfen, sind in hohem Maße geeignet, Präferenzen, die über die Verfolgung rein egoistischer Interessen hinausgehen, zu prägen und so den Boden für ein späteres kooperatives Verhalten zu bereiten.

Ebenso wichtig für die Entstehung und Absicherung von Kooperation ist das Verständnis der Parteien für den Grundsatz der Gegenseitigkeit (Reziprozität) und seiner Wirkungsweise. Wenn die Prozessbeteiligten die Auswirkungen ihres eigenen Verhaltens verstehen, dass nämlich sowohl kooperatives als auch unkooperatives Verhalten unmittelbar erwidert wird, dann können sie ihr eigenes Verhalten bewusst verändern.

Im Rahmen von Mediationsverfahren und mediativen Prozessen kann dies regelmäßig im Rahmen der Erklärung der Prinzipien der Mediation als den allgemeinen Spielregeln des Verhandlungsprozesses geschehen. Daneben bietet sich den Mediatoren als Hütern des Verfahrens insbesondere im Falle von unkooperativem Verhalten wie bei Verstößen gegen die Verfahrensregeln durch ein Einstehen wie die Durchsetzung derselben den Fortgang des Verfahrens sicherzustellen und den Parteien so die Chancen und Nutzen von fortgesetzter Kooperation zu verdeutlichen.

Fazit

Wie oben dargestellt ist Kooperation in einem gewissen Maße dann erlernbar, wenn den Verhandlungspartnern – eine grundsätzlich kooperative Einstellung vorausgesetzt – ausreichend (Spiel)Zeit zur Verfügung steht, so dass sie die Abhängigkeit des eigenen Erfolges von dem des Gegenübers erfahren und erkennen können.

Wenn der Faktor Zeit wie in Mediationsverfahren aber limitiert, dann ist es Aufgabe der Mediatorin und des Mediators durch Einwirkung auf die Rahmenbedingungen und entsprechende Aufklärung über die Spielregeln, die Akteure zu einem kooperativen Spiel zu veranlassen.

Die Erkenntnisse Axelrods können daher Anregungen für das Design einer konkreten Verhandlungssituation im Hinblick auf eine kooperative Konfliktbearbeitung sein.

Die Fairness einer Transaktion wird durch das Vertrauen auf wechselseitig vorteilhafte Transaktionen in der Zukunft garantiert.


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